Das Chorgericht

in Bolligen

Kirchgemeindearchiv Bolligen
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Im Kanton Bern ist das Chorgericht im ganzen deutschsprachigen Teil sowie auch in den waadtländischen Untertanengebieten im Jahre 1580 eingeführt worden. Diese Sittengesetzgebung wurde denn auch zur ersten einheitlichen Rechtsordnung und das Chorgericht in den Gemeinden zur ersten eigentlichen Behörde. Es sollte an die Stelle der bischöflichen Gewalt treten, die ja durch die Reformation beseitigt worden war. Das Chorgericht hatte vielfältige Aufgaben zu erfüllen: juristische und politische, öffentliche und seelsorgerische.

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Geistliche und weltliche Mitglieder der
Chorgerichte mussten diesen Eid ablegen.
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Die prächtig gestaltete erste Innenseite
des Buches «Der Statt Bern Chorgerichts-Satzung» aus dem Jahre 1743.


Ein Überblick verschafft uns ein Auszug aus «Der Statt Bern Chorgerichts-Satzung / Zu Statt und Land zu gebrauchen» aus dem Jahre 1743:


Vom Ampt der Chorrichteren.

«Die Chor-Richter sollen nicht allein Befelch haben, auf die Ehe-Sachen zu achten, sondern ins gemein ob allen Unseren, Christlicher Disciplin, gemeiner Zucht und Ehrbarkeit halber ausgegangenen Satzungen, mit höchstem Fleiss und Ernst zu halten, und die Übertreter derselbigen, es seyen Weibs- oder Manns-Personen, zu beschicken, zu rechtfertigen, und nach den Satzungen und Mandaten zu straffen:
Als da sind Gotteslästerer, Segner, Teuffels-Beschweerer, muthwillige Versäumer und Verächter der Predigen, des heiligen Göttlichen Worts, und der heiligen Sacramenten, Ungehorsame gegen den Eltern, Hurer, Ehebrecher, Kuppler, trunckene Leuth, Tänzer, öffentliche Wucherer, Spieler, unnütze Müssiggänger, die so üppige Kleider tragen, auf Kirchweyhenen lauffen, in Mummereyen, und Fasnachtsbutzenweis umlauffen, Fasnacht-Feur machen, nächtliche Unruhen anrichten, oder spath in Zächen bis in die Nacht verharren, liederliche Winkelwirth, und was sonst dergleichen mehr ärgerlicher Leuthen sind,
die Christlicher Zucht und Ehrbarkeit zuwider handeln. Wo aber  jemand in solchen und dergleichen Sachen so schwärlich sich vergienge, dass er höherer Straff würdig möchte geachtet werden: Sollen sie dasselbig an die Ober-Amptleuth, und da dannen an Uns, oder Unser Chorgricht langen lassen.»
Wie wurde nun diese Behörde im Kirchspiel Bolligen bestellt? Wie war sie zusammengesetzt? Welches waren die Aufgaben, die auf die Herren Chorrichter zukamen?

Die vier Venner der Stadt hatten die Verantwortung für je eines der vier Kirchspiele und der vier Landgerichte (Sternenberg, Zollikofen, Seftigen, Konolfingen). Es wurde bereits erwähnt: Für die «Kilchöri» Bolligen trug der «wohlgeborne, Hochgeachtete» Venner der Gesellschaft zu Metzgern die Verantwortung. Im Chorgericht führte er den Vorsitz. War er abwesend, so vertrat ihn der Ammann, der zugleich auch die Funktion eines Freiweibels im Landgericht Konolfingen ausübte. Der Pfarrer hatte im Chorgericht Sitz und Stimme und führte die Protokolle. In der Regel hatte er die beste Übersicht über die allgemeinen Verhältnisse im Kirchspiel, und er war daher die ”starke Person” in der Behörde. Neben dem Chorweibel (Siegrist) nahmen aus den Vierteln je zwei Beisitzer an den alle 14 Tagen stattfindenden Verhandlungen teil. Diese Viertelsvertreter wurden auf Vorschlag der Gemeinde vom Venner gewählt.

Über die Arbeit des Chorgerichts unterrichten die Chorgerichtsmanuale. Sie setzen in Bolligen um 1604 ein, und das älteste Protokoll einer Verhandlung des Bolliger Chorgerichts trägt die Handschrift des Pfarrers Jacobus Haberrüter (1599–1605). Bereits seine knappen Eintragungen geben ein Bild von dem, was die Chorrichter von Bolligen an ihren Sitzungen verhandelten:

«Von böser Worte wägen», «von spilens wägen» oder «von schwerens und anderer lychtfertigkeit wägen» wurden fehlbare Gemeindebürger zitiert. Böse  Worte, Spielen oder Schwören – das verstiess gegen die guten Sitten und musste geahndet werden. So war denn die Hauptaufgabe des Chorrichters das Wachen über den Lebenswandel der Kirchspiel-Bewohner, besonders auch über deren Eheführung. Während andernorts die «wohlersamen Nachbarn» sich auch mit Armen- und Vormundschaftsfragen zu befassen hatten, ist von diesbezüglichen Verhandlungen in den Bolliger Chorgerichtsakten kaum die Rede. Der Grund war die auf die Stadt Bern übertragene Zuständigkeit für die Kranken und Armen aus dem Bolliger Gemeindegebiet. Vogt- und Waisensachen besorgte das städtische Waisengericht.

Hingegen waren Schulfragen zuweilen Gegenstand von Verhandlungen. Die Reformation hatte die Beschäftigung mit der Bibel als Auftrag an jeden  Christenmenschen herangetragen. In Stadt und Land
löste dies einen Drang nach vermehrtem Wissen und nach Bildung aus. Wir nehmen an, dass dieses Drängen auch unter den Bolligern spürbar war. Jedenfalls scheint es bereits 1583 einen Lehrer in Bolligen gegeben zu haben. Der Deutsch-Seckelmeister-Rechnung aus diesem Jahr entnehmen wir die Notiz: ”Mer dess tags dem Lermeister vonn Bollingenn uff ein zedell gebenn 2 &.” Die Chorgerichtsakten
bestätigen diese Vermutung, sind ihnen doch bereits in den Anfängen zahlreiche Hinweise auf Schul-
angelegenheiten zu entnehmen.

Dem Chorgericht wurde die Pflicht auferlegt, darüber zu wachen, «welche Eltern ihre Kinder nicht zur Schule schicken». Das Bolliger Chorgericht wird seiner Pflicht nachgekommen sein. Auf die Anfrage der Obrigkeit ”Was sind für Anstalten zu der Auferziehung der Kinder ... gemacht?”  meldete der Pfarrer
David Emanuel Fasnacht (in Bolligen von 1748 bis 1770) im Jahre 1764: «Zur Unterweisung sind vier gute öffentliche Schulen». Diese vier Schulen befanden sich in Bolligen, Ostermundigen, Ferenberg und Geristein. Interessant ist, dass der Viertel Ittigen, trotz der zweithöchsten Einwohnerzahl, in der Mitte des 18. Jahrhunderts keine Schule besass. Der Grund dafür ist wohl in der grossen Zahl von Hintersässen zu suchen, deren Ausbildung den Burgern kein vordringliches Ziel war.
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Im «Burger- und Mandatenbuch» ist der Name Ärni nicht im Hauptteil sondern unter dem Register «Über die Erkanntnussen wegen streitigen Heimath Rechten zu Bolligen» aufgeführt.
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Andres Ärny

Andress Ärny der Hammerschmid so lange jahr zu Worblauffen gesessen und kein ander Heymath nit weiss, auch darneben von der Bettelordnung allda bezogen worden. Als findend MhGh. Allmusens Directoren dass derselbe sambt den Seinigen ihr Heymathrecht allhier zu Bollingen haben sollen: und hiemit die G’meind schuldig sein solle, dessen Sohn Samuel einen Heymathschein zu ertheilen damit er ferners sambt den seinigen zu Frutigen geduldet werde; widrigen fahls so etwann Oppositions Gründ einzuwenden so soll man sich vor Mhgh, der Cammer stellen. Actum den 17 Dbr. 1692
Samuel Rüetschi Oberspittal Schrbr.
Selbst die Regierung war mit ihren Weisungen zwiespältig. In einem Kreisschreiben vom 15. Oktober 1675

Besonders der «Fall Ärny» ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie die Almosenkammer bei ihren Zwangszuteilungen damals vorging. Warum wurde ein Entscheid vom Jahre 1692 vom Pfarrherren im acht Jahre später erstellten Verzeichnis nicht berücksichtigt?

Die einzelnen Burger wurden in drei Kategorien unterschieden: Die alten Burger, die sich eingekauften Burger und eine Gruppe, wo die Bezeichnung alt fehlt, bei denen es sich wohl mehrheitlich um zugezogene Handwerker in den Gewerbebetrieben handelte, die nach den Weisungen der ”Allmusens Directoren” Aufnahme fanden.

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Chorgerichts-Korrespondenz

Faltbrief-Vorderseite mit eingedruckter Anrede.
Die Ortschaft wurde von Hand angebracht.
Die Bolliger-Pfarrer pflegten Ihre Korrespondenz. Häufig wurde auf der Adress-Seite der Inhalt dieser Faltbriefe in Kurzform wiedergegeben:
«29. Aprill 1773. Die der Geburt beyspringend Weiber sollen bey streitig Paternität klug untersuch ob die Frucht zeitig geworfen oder nicht und ihr befind soll einberichtet werd».



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Eid-Faltbrief

Der freundliche Gruss kommt vor dem Befehl!
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